Machen Sie sich müde mit den vielen Angeboten und Projekten, die Sie alle wichtig finden? Quälen Sie sich mit dem Anspruch, jedem gerecht zu werden? Verlieren Sie unter all dem Vielen, was Sie meinen bewältigen zu müssen, das Wichtige aus den Augen?
Der berühmte Mose lässt sich in einer solchen Situation beraten – überraschend, nicht ganz einfach, aber effektiv und nachhaltig. Lassen Sie sich von möglichen Lösungen für Ihren KV inspirieren...
Liebe Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher,
ich will mich kurz vorstellen: Mein Name ist Jitro, vermutlich kennen Sie meinen berühmten Schwiegersohn Mose. Ich habe ihn einmal in einer sehr schwierigen Situation unterstützt. Er selbst war danach erleichtert und ich hatte viel gelernt über Beratung: Welche Haltung ist hilfreich, welche Fragen helfen weiter, wie konkret dürfen Ratschläge sein, darf ich überhaupt welche geben als Berater? Wenn Sie sich für die Situation damals interessieren, können Sie sie gern in 2. Mose 18 nachlesen. Sie war mein Meisterstück. Damit empfehle ich mich.
Ich habe Mose besucht. Ich kam von außen, war nicht Teil „des Systems“, mir fielen sofort Dinge auf, die den „Internen“ schon längst nicht mehr auffielen. Menschen gewöhnen sich ja an fast alles und denken, es müsste so sein.
Stolz hat mein Schwiegersohn mir erzählt, was sie alles geschafft und erlebt haben. Der Wind blies ihnen von vorne ins Gesicht - Ägypten, der Pharao, die dramatische Situation am Meer. Mit müden Augen und grauem Gesicht breitete Mose vor mir Auseinandersetzungen und Konflikte aus, aber auch die große Befreiung, die neue Hoffnung. Er kämpfte mit den Tränen, als er von dem elendig langen Weg durch die Wüste erzählte, von dem Murren und der Unzufriedenheit und dann doch immer wieder von Gottes Hilfe und von einem nächsten Schritt. Er war erschöpft, als er fertig war.
Und ich spürte: Ich will und muss das jetzt würdigen. Ich will und muss mit ihm Geschafftes einsammeln und für Erlebtes danken. Und dann mit ihm und den anderen feiern!
Kennen Sie das? Jemand schaut mit Ihnen auf das, was war und was ist – auf Erfolge und Pleiten, auf Aufbrüche und Erschöpfung, auf einen gemeinsamen Strang und auf Interessenkonflikte. Ich würde eine Beratung immer so beginnen.
Am Morgen nach dem Fest war Alltag. Mein Schwiegersohn saß da und leitete sein Volk. Ich setzte mich neben ihn. Ich war echt neugierig. Wie macht er das? Nach einer Weile hab ich ihn gefragt: „Warum machst du das so, wie du es machst?“ Ich wollte ihn verstehen, ihn und seine Lösungen.
Und wieder begann er zu erzählen von Abläufen und Strukturen, von Konflikten und Regeln. Er hatte, sie hatten gute Gründe. Manches hatten sie gefühlt „schon immer“ so gemacht, manches hatte sich bewährt, an vieles hatten sie sich gewöhnt. So löste Mose eben Probleme. Andere erwarteten das so von ihm. Er selbst konnte sich das auch nicht anders vorstellen.
Ich sah, wie er immer müder wurde im Lauf des Vormittags. Und nicht nur er…
Aber ich wollte ihn nicht unterbrechen, schon gar nicht wollte ich ihm gute Ratschläge geben. Also hörte ich ihm lange geduldig zu. Ich glaube, das hat ihm gut getan.
Haben Sie das mal gespürt? Jemand setzt sich zu Ihnen und hört einfach zu. Vielleicht hilft er Ihnen mit einer Frage weiter. Mehr nicht zunächst. So funktioniert Beratung.
Aber dann wollte ich was sagen. Ich hatte gesehen, wie er sich anstrengte, wie er sich und die anderen erschöpfte. Durfte ich ihm sagen, dass mir das auffällt und dass ich es nicht gut finde? Als Berater will ich nicht bewerten. Aber dann fasste ich mir ein Herz und suchte Sprache für das, was ich spürte und brachte es auf den Punkt: „Es ist nicht gut, wie du das tust. Du machst dich zu müde, dazu auch das Volk, das mit dir ist. Das Geschäft ist dir zu schwer; du kannst es allein nicht ausrichten.“
Ist das manchmal das Thema hinter Ihren vielen Themen und Tagesordungspunkten im Kirchenvorstand? Machen Sie sich müde mit den vielen Angeboten und Projekten, die Sie alle wichtig finden? Quälen Sie sich mit dem Anspruch, jedem gerecht zu werden? Verlieren Sie unter all dem Vielen, was Sie meinen bewältigen zu müssen, das Wichtige aus den Augen?
Wenn ich Sie besuchen würde, würde ich versuchen, Worte zu finden für das, was ich sehe und vermute - in Ihren Worten und dahinter. Das ist für mich die wichtigste Beratungsleistung.
Bei meinem Schwiegersohn bin ich damals sehr vollmundig konkret geworden: Mach folgendes! Unterscheide größeres vom kleineren! Such dir Hilfe und Ergänzung! Verlier dein Ziel nicht aus den Augen! Das war beraterisch durchaus eine Gratwanderung. Ich hab zuviel gemacht. Besser wäre gewesen, ich hätte mit ihm gemeinsam nach seinen Lösungen gesucht.
Bei Ihnen würde ich das so machen. Ich würde mir Zeit nehmen um mit Ihnen herauszufinden: Was können Sie gut als Kirchenvorstand und Gemeinde? Wo sind Sie nicht zu ersetzen? Und wo schon? Wo gäbe es Ergänzung im Stadtteil oder in der Region? Was können andere besser? Was wird leichter, wenn Sie es gemeinsam mit anderen tragen? Ich habe mich über Sie informiert und glaube, es ist eines Ihrer wichtigsten Themen gerade: Nicht alles selber machen.
Mein Schwiegersohn ist meinem Rat damals gefolgt, die Situation war befriedet, er hatte wieder Freude an seiner Arbeit und mich konnte er ziehen lassen.
Auch mein Besuch bei Ihnen wäre nur ein Intermezzo. Beratung ist Begleitung, Anregung auf Zeit. Danach werden Sie Ihre Lösungen leben. Sie können das.
Mit herzlichen Grüßen, Ihr Jitro
Gudrun Scheiner-Petry, Leiterin des Amtes für Gemeindedienst
Dieser Beitrag erscheint 2020 in "Gemeinde leiten", dem Magazin für Kirchenvorstände