Mein liebstes Bild ist etwas ganz besonderes, denn es hängt an keinem Nagel, hat keinen Rahmen, ist uralt, besteht aus vielen Einzelbildern und es kann zum Leben erwachen.
Dieses besondere Bild präsentiert sich dem Besucher der St. Galluskirche in Erzberg beim Öffnen der schweren Eingangstür. Der Blick richtet sich sofort auf den Chorraum. In gedecktem Rot-Orange, Braun und etwas Gold dominiert zunächst der Altar im Stil des Bauernbarock die Bildmitte. Erst beim Näherkommen schärft sich der Hintergrund. Aus den Wänden in warmen Ocker- und Blautönen treten schemenhaft Figuren mit rot-braunen Konturen heraus. Sie zieren alle drei Wände des Chorraumes.
Steht der Betrachter nun unmittelbar vor diesen Fresken aus dem 15. Jahrhundert, erkennt er Heilige, christliche Symbole und biblische Szenen. Linker Hand, an der Nordwand sind Taufe, Abendmahl und Trauung dargestellt. Eine weitere Szene zeigt die Speisung mit Wachteln und Manna. An der Ostwand, hinter dem Altar, sind die beiden Heiligen Katharina und Barbara zu erkennen. Daneben abgebildet die heilige Familie auf der Flucht vor Herodes, begleitet von einem Engel. Die Malerei an der südlichen Seite ist nur noch unvollständig erhalten. Ein dunkler Schatten wird als aufgerichteter Bär gedeutet, davor eine menschliche Gestalt, die beschwichtigend die Arme hebt. Man geht davon aus, dass hier die Legende des heiligen Gallus dargestellt ist. Dieser Gedanke liegt nahe, da die Kirche vor Jahrhunderten dem Gallus gewidmet wurde. Aus den Gewölbezwickeln sehen die vier Evangelisten, auf Thronen sitzend, herunter. Johannes mit dem Adler im Osten, Lukas mit dem Stier im Süden, Markus mit dem Löwen im Westen und Matthäus mit dem Engel im Norden.
Während des Gottesdienstes und wenn Gäste die Kirche besuchen, wird mein liebstes Bild lebendig. Auch ich war und bin oft ein Teil dieses Bildes – als Täufling vor 50 Jahren, als Konfirmandin, als Braut und noch immer regelmäßig als Lektorin oder Aushilfsmesnerin.
Seit meiner Kindheit ist mir der Blick auf den Altar- bzw. Chorraum ein liebgewordenes und vertrautes Bild. Ebenso lange schon beschäftigt mich die Frage, weshalb die Engel mit schwarzen Flügeln dargestellt sind. Wann wird dieses Rätsel wohl gelöst?
Ulrike Groß, Kirchenvorsteherin und Vertrauensfrau der Kirchengemeinde Erzberg im Dekanat Rothenburg ob der Tauber