Wenn der KV plant: Vom Tun und Lassen

Bildrechte beim Autor

Ein hochmotivierter Kirchenvorstand nimmt sich neben den monatlichen Sitzungen Zeit, für 1 ½ Tage in Klausur zu gehen. Respekt! Jenseits der Alltagsaufgaben arbeitet er am Thema: „Bestandsaufnahme und Perspektiventwicklung“.
Schon in der ersten Runde wird deutlich, dass der Kirchenvorstand in den letzten Jahren eine Menge „gestemmt“ hat: Gemeinsam mit der Pfarrerin hat er neben Bau-, Personal- und Verwaltungsdingen noch Zeit gefunden, eine neue Gottesdienstform für Distanzierte und ein Konzept für die Arbeit mit jungen Familien zu entwickeln. Ganz aktuell kommt das Engagement zahlreicher neuer Ehrenamtlicher für Flüchtlinge dazu.
Nach einer halben Stunde stehen wir dankbar staunend vor drei prall gefüllten Pinnwänden mit bunten Karten. Jede Karte steht für ein Engagement, eine Aktivität, ein Angebot und den oder die dazugehörigen Menschen, die es tun.
Nach einer kurzen Pause richtet sich der Blick nach vorn. In Kleingruppen entstehen erste Ideen für neue Projekte: Die Öffentlichkeitsarbeit samt Homepage der Kirchengemeinde gehört modernisiert, in der Seniorenarbeit steht ein Generationenwechsel bevor, der Kindergottesdienst soll neu belebt und die Kooperation mit der Nachbargemeinde ausgebaut werden und das nächste Bauprojekt erscheint auch schon am Horizont.
Mit dem Blick von außen darf und muss ich an dieser Stelle unterbrechen und fragen: Respekt für Ihr Tun – und was lassen Sie dafür?
Kirchenvorstände tun sich schwer mit dieser Frage – obwohl sie ein gutes Gespür dafür haben, was zu schaffen ist. Das „Tun“ ist vertraut, das „Lassen“ fällt schwer. Warum? Ich vermute eine Prägung und Haltung, die ganz allgemein das An- und Zupacken hoch schätzt. Größer, schneller, besser – der Optimierung scheinen keine Grenzen gesetzt. Geachtet wird, wer sich den Herausforderungen tatkräftig stellt.
So verwundert es nicht, dass das „ADIDAS-Prinzip“* in der Kirche weit verbreitet ist: „Alles DIes und DAS auch noch“ spiegelt die Sehnsucht, die ganze Palette wünschenswerter und möglicher Angebote abzudecken. Überforderung und letztlich der Frust, dass nicht alles gut zu schaffen ist, sind vorprogrammiert.
Kirchenvorstände als Verantwortliche in der Gemeindeleitung möchten nicht „schuld“ sein, dass Angebote gestrichen und Aktivitäten beendet werden. Weil das Urteil mitschwingen könnte, dass ein Angebot und die dafür Verantwortlichen „nicht mehr gut genug“ sind und ja letztlich doch alles irgendwie wichtig ist.
Zu einem Perspektivwechsel lädt hier das „NIKE-Prinzip“ ein: Ein bestehendes Angebot oder eine neue Idee wird vierfach befragt:

  1. N – Wem nützt es?
  2. I – Passt es zu unserer Identität?
  3. K – Trauen wir uns die Kompetenz zu?
  4. E – Wo schaffen wir Entlastung?

Die vierte Frage nach der Entlastung darf nicht unter den Tisch fallen! Auch wenn Antworten darauf erst einmal schwer fallen. Vielleicht ist der „grüne Tisch“ auch nicht der richtige Ort, um über das „Lassen“ und damit über das Ende eines Angebots oder einer Aktivität zu urteilen. Der Gemeindealltag wird zeigen, wo Motivation, Energie und Bedürfnisse stecken – und wo nicht. Die dazugehörige Abschiedskultur müssen wir auch erst lernen, damit sie Wertschätzung und nicht Scheitern signalisiert.
Biblisch bewegen wir uns bei der Frage nach Tun und Lassen zwischen dem Missionsbefehl und dem Gleichnis von der selbstwachsenden Saat. Der auferstandene Christus selbst ist mit seinem „Gehet hin in alle Welt und machet...“ (Matthäus 28,19 und Markus 16,15) der Auftraggeber für christliches Tun. Und genauso bremst er uns heilsam ein, wenn er menschliches Zutun relativiert und daran erinnert, wer für das Gemeindewachstum sorgt: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht; Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht, wie“ (Markus 4,26-27). Ein starkes Plädoyer für geistvolle Gelassenheit, die nicht die Hände in den Schoss legt, aber die Grenzen des Machbaren und der Kräfte respektiert und dem Heiligen Geist zutraut, was er verheißt.


Pfarrer Martin Simon, Referent für Kirchenvorstandsarbeit im Amt für Gemeindedienst

* Die Rede von den Prinzipien ADIDAS und NIKE verdanke ich meinem Kollegen Armin Felten, Leiter der Gemeindeakademie der Evang.-Luth. Kirche in Bayern